Die Augen: Die Fenster zum Körper - Informationen für Betroffene
Was sehen Sie, wenn Sie Ihrem Gegenüber tief in die Augen schauen?
Natürlich viel mehr als wir Augenärztinnen und Augenärzte, denn so etwas machen Sie nur mit Ihren Liebsten. An Hinweise auf Krankheiten denken Sie in dieser Situation hoffentlich nicht.
Dennoch können auch Sie unter Umständen einen sehen: Ein weisslicher Ring um die Pupille ist vor oder in der Lebensmitte oft die Folge von deutlich erhöhten Blutfettwerten, die ein Risiko für Arterienverkalkung und damit für Schlaganfälle, Herzinfarkte und andere Gefässverschlüsse mit sich brächten. Daher sollte eine Blutuntersuchung veranlasst werden, falls ein solcher Ring auffällt. Im hohen Alter hingegen ist dieser Befund normal und wird auf deutsch als Greisenbogen bezeichnet.
Ebenfalls schon von blossem Auge kann auffallen, dass die Pupillen beider Augen nicht gleich gross sind. Die Nerven, welche die Pupillengrösse regeln, verlaufen komplex und nicht nur durchs Gehirn, sondern teils auch durch den Hals. Entsprechend können verschiedenste Ursachen hinter einer unterschiedlichen Pupillengrösse stecken, von einer harmlosen angeborenen oder bei der Geburt erworbenen Störung bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen wie einer Gefässerweiterung im Gehirn (sog. Aneurysma) oder einem Riss in der Halsschlagader (sog. Carotisdissektion), bei Neugeborenen auch einem bösartigen Tumor (sog. Neuroblastom). Fällt ein solcher Unterschied neu auf, ist eine ärztliche Untersuchung unbedingt zu empfehlen. Sagt Ihr Gegenüber hingegen, das habe sie oder er seit jeher oder seit vielen Jahren, dann ist der Befund meist harmlos.
Rote Augen kennen wir alle als Folge harmloser Bindehautentzündungen, die entweder allergisch bedingt sein können wie beim Heuschnupfen, oder aber infektiös durch verschiedenste Erreger. Mit den meisten davon wird ein gesundes Immunsystem von selbst fertig. Eine Ausnahme sind die sogenannten Chlamydien, besser bekannt als Erreger von Geschlechtskrankheiten. Kommen zur Rötung andere Beschwerden hinzu wie Schmerzen, Sehverschlechterung oder eine ausgeprägte Lichtempfindlichkeit, dann ist meist nicht nur die Bindehaut betroffen, sondern auch andere Strukturen wie die Hornhaut oder das vordere Segment innen im Auge. Bei solchen Beschwerden sollten Sie eine Augenarztpraxis aufsuchen. Der hauptsächliche Risikofaktor für Hornhautentzündungen sind Kontaktlinsen. Für Regenbogenhautentzündungen gibt es weniger Risikofaktoren von aussen, hingegen können sie Folge einer rheumatischen Grunderkrankung sein oder aber einer Infektion, welche den ganzen Körper betrifft, von der Borreliose über den Herpes bis zur Syphilis. Wundern Sie sich also nicht über indiskrete Fragen in der Augenarztpraxis. Und wundern Sie sich auch nicht, wenn Sie hören, der Grund für Ihre roten Augen sei etwas ganz anderes – diese Aufzählung ist unvollständig.
Entwickelt jemand zunehmende «Glubschaugen» bzw. einen auffällig starrenden Blick mit weit offenen Augen, so dass zwischen Pupille und Oberlid das Weisse dauernd sichtbar wird, kann das ein Hinweis auf eine Schilddrüsenerkrankung sein.
Was Sie selbst nicht sehen, aber vielleicht Ihre Kamera: Ist der Pupillenreflex eines Kindes auf einem Foto weiss statt rot, kann das ein Hinweis sein auf einen Tumor im Augenhintergrund, ein sogenanntes Retinoblastom. Auch hier gilt: Bitte zum Augenarzt, und zwar bald.
Ihre Augenärztin oder Ihr Augenarzt kann am Untersuchungsmikroskop die Augenoberfläche genauer anschauen und dabei feinste Hornhauttrübungen erkennen, wie sie im Rahmen von seltenen Stoffwechselerkrankungen vorkommen können, z.B. eine Kupfereinlagerung, die im medizinischen Jargon als Kayser-Fleischer-Ring bezeichnet wird. Mit Hilfe einer Lupe lässt sich durchs transparente Innere des Auges hindurch auch der Augenhintergrund betrachten. Das ist die einzige Stelle im Körper, wo man direkt auf die Blutgefässe sieht. Dabei unterscheidet man Arterien, die sauerstoffhaltiges Blut zum Gewebe führen, von Venen, die das Blut nach Abgabe des Sauerstoffs mit tieferem Druck wieder zum Herzen und zur Lunge zurücktransportieren. Bei derselben Untersuchung sieht man auch den Sehnerven.
Falls eine Gefässkrankheit vorliegt, können typische Veränderungen der Gefässe sichtbar sein. Sind z.B. die Arterien verengt, ist das ein Hinweis auf einen unbehandelten Bluthochdruck. Ist der Blutdruck deutlich zu hoch, können andere Zeichen hinzukommen wie Blutungen in der Netzhaut. In diesem Stadium beschreiben manche Betroffene eine Sehverschlechterung. In aller Regel erholt sich das wieder, wenn der Blutdruck gesenkt wird. Wenn jedoch ein Gefäss ganz zugeht, kann ein dauerhafter Ausfall zurückbleiben. Er ist umso störender, je näher er am Ort des schärfsten Sehens im Zentrum der Netzhaut liegt. Das ist die sogenannte Makula, auf deutsch Gelber Fleck.
Auch bei Zuckerkranken kann es mit der Zeit zu Gefässschäden kommen. Im Frühstadium verursachen sie keine Beschwerden. Ohne Behandlung können sie ebenfalls zu Blutungen führen, später auch zu schwereren Komplikationen wie z.B. Netzhautablösungen. Früher war der Diabetes in Industrieländern eine der häufigsten Ursachen für Sehbehinderungen vor dem Pensionsalter. Heute gibt es bessere Möglichkeiten, den Blutzuckerspiegel zu senken. Deshalb treten solche Veränderungen seltener auf. Zudem lassen sie sich meistens gut behandeln – vorausgesetzt, sie werden früh genug entdeckt. Diabetiker sollten daher regelmässig ihre Augen untersuchen lassen, auch wenn sie selbst noch keine Probleme bemerken.
Gefässkrankheiten können sich selbst dann am Auge äussern, wenn die eigentliche Störung ausserhalb des Auges liegt, z.B. in den Halsschlagadern. Besteht dort eine starke Arterienverkalkung, können sich einzelne Kalkbrösel lösen und in die kleinen Augengefässe mitgespült werden, wo sie steckenbleiben und ein Gefäss vorübergehend oder gar bleibend verschliessen können. Ein solcher Arterienverschluss im Augenhintergrund äussert sich als dichter, flächiger schwarzer Vorhang oder schwarze Wand. Die Störung kann das ganze Gesichtsfeld betreffen oder nur einen Teil davon, z.B. die obere oder untere Hälfte. Solche Beschwerden gehören unbedingt sofort abgeklärt: Selbst, wenn sie von allein wieder weggehen, können sie Vorboten sein für Schlaganfälle im Gehirn.
Verschliesst sich eine Vene statt einer Arterie, kommen ähnliche Ursachen in Frage wie bei anderen Venenthrombosen, z.B. Gerinnungsstörungen. Auch Venenverschlüsse können am Auge paradoxerweise Folge einer Arterienverkalkung sein: Meist ereignen sie sich genau dort, wo sich eine Vene mit einer Arterie kreuzt. Die Wand der Vene ist dabei dünner und weicher als die der Arterie, so dass eine verkalkte und damit verhärtete, verdickte Arterienwand den Blutfluss in der Vene behindern kann.
Sieht der Sehnerv geschwollen aus, kann das wiederum verschiedene Gründe haben. Auch hier gibt es angeborene Normvarianten, jedoch auch Schwellungen im Rahmen eines erhöhten Drucks im Inneren des Schädels, wie er bei Hirntumoren oder Hirnblutungen auftreten kann. Auch Entzündungen können die Sehnerven anschwellen lassen. Sie kommen entweder isoliert vor oder aber im Rahmen von Krankheiten, welche auch andere Nerven betreffen, z.B. eine Multiple Sklerose. Bei dieser Krankheit ist allerdings typischer, dass die Schwellung so weit hinter dem Augapfel auftritt, dass der im Auge sichtbare Teil normal aussieht. In solchen Fällen lässt sich trotzdem bereits mit einem einfachen Taschenlämpchen beweisen, dass ein Problem am Sehnerv vorliegt, nämlich aufgrund einer einseits langsameren Pupillenreaktion, auf Fachchinesisch RAPD oder relativer afferenter Pupillendefekt genannt.
Auch andere Strukturen im Augenhintergrund können entzündet sein. Die Ursachen dafür sind alle relativ selten. Meist handelt es sich um Infektionen. Glücklicherweise ist das Vollbild von AIDS hierzulande sehr selten geworden. Aber die bereits erwähnten Erreger von Herpes und Syphilis können alle Schichten der Augen befallen. Auch Infekte, welche das ungeborene Kind im Mutterleib aufliest, können sich an den Augen manifestieren, so z.B. eine Toxoplasmose.
Es gäbe noch viele weitere Beispiele. Auch ohne in alle Details zu gehen, sehen Sie schon jetzt: Die Augen sind zwar kleine Organe, aber auf vielfältigste Art und Weise mit dem ganzen Menschen verbunden, und im wahrsten Sinne des Wortes das Fenster zum ganzen Körper. Dass sie umgekehrt eines unserer wichtigsten Fenster zur Welt sind, wussten Dichter seit jeher. In der deutschen Lyrik sind Gottfried Kellers «Abendlied» oder Goethes «Lynceus der Türmer» schöne Beispiele.
Gedicht: "S Gspüsligs Auge" - Meinrad Lienert
Äugli hät mis Schätzeli,
wie ä Bach, wänn's dunkled.
Wänn drususe d'Stärneli
still und heimli funkled.
Wänn ums Wasser Zitterhälm
stönd wie Augehöirli.
Wänn's eim aluegt i der Nacht,
rüebig, teuff und gföirli.
Äugli hät mis Schätzeli,
wie dr Bach, wänn's taged,
wänn drus alli Näbeli
d'Morgelüftli jaged.
Wäme alls im Bach cha gseh,
Himmel, Wält und Sunne.
Blöiss diä arge Fischli nüd
undrem Bachport unne.
IMPRESSUM
Herausgeber: Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft SOG
Redaktion: SOG Kommission Kommunikation
Autorin: Dr. Anna Fierz, Zürich
Abbildungen*: Lizensiert von shutterstock no. 243302320; 1059887048 (Abb1) und istock no 695204442 (Abb2).
Veröffentlicht: Oktober 2022